Mo, 16.06.2025
19.00 Uhr
Eintritt frei
»Röhnert hat sich spätestens mit Vom Gehen im Karst als herausragender Vertreter des Nature Writing etabliert … ist ein Dichter der genauen Landschaftsbeschreibungen.« Deutschlandfunk
Wildnis – für die einen hoffnungslos romantische Projektion auf die zum Erholungsgebiet, Baugrund, Rohstofflieferanten degradierte Natur; für andere letzte Hoffnung, dass ein entwildertes Europa sich in einem Akt totalen »rewildings« seelischmoralisch regeneriere. Doch ist Wildnis vielmehr ein Arbeitsbegriff, der weniger einem Zustand als Prozessen gilt, einem vitalen Ermöglichungsraum des weder Plan- noch Vorhersehbaren. Hier berührt sich das Nature Writing mit handfestem Tun von ökologischen Protestformen bis zur intensiv extensiven Landschaftspflege. Wildnisarbeit wurde nie vom Schreibtisch aus betrieben; sondern führt durch die letzten Leipziger Brachen, in die wendländische Elbtalaue und auf den ostthüringer Streuobsthang über dem verwilderten Sandsteinbruch des Autors. Dabei begegnet Jan Röhnert Menschen und Werken, in denen das Tun Hand in Hand geht mit dem Schreiben von dem, was sich nur im Offenen ereignet. Wildnisarbeit ist ein poetischer Essay, der das Nature Writing auf seine Grundvoraussetzung zurückführt: die Einheit von Ort, Schreiben, Tun. Ein ergänzender Traktat verankert folgerichtig das Nature Writing dort, wo es herkommt: bei der Natur und ihren Elementen – wie Wasser, Bäume, Gestein.
Geht, Leute, über die Brachen und schaut euch um; zeichnet die Bodenformen nach, kartiert die Stengel, Gräser und Blätter, die ihr dort antrefft, zählt die Distelköpfe und Hagebutten und registriert die Dauer des Juckreizes, den Brennnesseln und Mücken euch bescheren; hört das Gezeter der Spatzen in den Hecken und das Schlagen der Amseln im Gebüsch, staunt, wie Ziegelsteine, Mörtel und hervorgebrochener Putz zwischen Weißdorn- und Wildapfelreisern einen Miniaturkarst hervorbringen, der einigen Erdbienen das Überleben sichert. Macht euch die Distel zum Vorbild, Königin der Brachen und Niemandsländer, Pionierin der terrains vagues, Erstbesiedlerin der Schuttplätze und Abfallhalden; keine Pflanze verkörpert so sehr wie sie das Widerständige, sich gegen jede Ordnung und Versiegelung Sperrende, selbst noch inmitten der Großstadt aus dem Boden Brechende unkontrollierbarer Wildnis. Dichter, erobert die Landschaft, euren Ort, indem ihr ihn zur Sprache bringt, ob Berlin, Leipzig, ob der Tauber, Südpfalz, Drömling, Mansfeld, Tielenhemme – geht nach draußen in die wiedervereinigte Landschaft, rekulti- viert sie, geht oder fahrt in Zügen unter der Flagge von Wulf Kirsten, Jürgen Becker oder Sarah Kirsch. Ihr werdet staunen, was es zu sehen und zu singen gibt, dies- und jenseits der Menschen.
Jan Röhnert, geboren 1976 in Gera, lebt in Leipzig und unterrichtet an der TU Braunschweig. Seit dem mit dem Lyrikdebütpreis des Literarischen Colloquiums Berlin 2003 ausgezeichneten Burgruinenblues fünf weitere Gedichtbände, zuletzt Breughels Affen (2019) und Erdtagzeit (2023). Prosa: Vom Gehen im Karst (2021) und Karstwärts (2024). Essays: Kleine Poetik der Himmelsrichtungen und Kino. Flirts in den Central-Lichtspielen (beide 2014). Kritiken u.a. für FAZ, Literarische Welt, Tagesspiegel. Übersetzer des USDichters Ron Padgett (Die schönsten Streichhölzer der Welt, 2017).
Moderation: Alexander Suckel
Den Gartenverein Sanssouci e.V., Mühlrain 48, 06118 Halle, finden Sie hier!
Bild (c) privat)
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