Veranstaltungen

So, 19.11.2023
11.00 Uhr

12.00 €
9.00 € ermäßigt

„Die Kunstnaturkatastrophe – Der lange Thomas-Bernhard-Tag im LHH“

 

 

Thomas Bernhard war Übertreibungskünstler und Geschichtenzerstörer, Weltdichter, Skandalautor, Fabulier-und Beschimpfungsvirtuose. Wir erinnern an einen der großen deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts.

 

 

 

11 Uhr Martin Reik liest „Alte Meister“(1985)

 

Das karge Geschehen des Textes vollzieht sich im Wiener Kunsthistorischen Museum. Der Privatgelehrte Atzbacher beobachtet dort eine Stunde lang den Musikphilosophen Reger und gibt dessen Denken und Monologe aus der Erinnerung wieder, ehe er mit ihm, der ihn zum Zweck eines Theaterbesuchs (Kleists Zerbrochener Krug im Burgtheater) herbestellt hat, ins durchaus monologisch angelegte „Gespräch“ eintritt. Reger ist einer der zahlreichen mit ihrem Herkunftsland verfeindeten außergewöhnlichen schöpferischen Menschen in Bernhards Werk. Nach einer als schreckliche Leidenszeit erlebten Jugend hat er sich in die Kunst geflüchtet. Dabei ist sein Umgang mit ihren Erzeugnissen durchaus ambivalent: überaus scharf kritisiert er die Bereitschaft vieler Künstler, sich an die Vorgaben von Staat und Kirche anzupassen, und im Rahmen seitenlanger Scheltreden attackiert er insbesondere Adalbert Stifter, Anton Bruckner und Martin Heidegger, mit denen er sich freilich zugleich als verwandt deklariert. Im Kunsthistorischen Museum befindet sich allerdings auch Tintorettos „Weißbärtiger Mann“, vor dem Reger stundenlang meditiert; genau in der Mitte des Buches steht die seltsame Begegnung mit einem Engländer, der bei sich zu Hause ebenfalls eine Version dieses Bildes hat. Und im Museum hat Reger nicht zuletzt seine Frau kennen gelernt, die vor Kurzem hochbetagt (wie 1984 auch Bernhards Lebensgefährtin Hedwig Stavianicek, an die das Buch erinnert) verstorben ist. Der dritte Roman der „Künstler- oder auch Künste-Trilogie“ wurde mit dem scheinbar paradoxen, doch für Bernhard äußerst stimmigen Begriffs der „Kunstvernichtungskunst“ charakterisiert, geht es doch nicht mehr wie in Der Untergeher undHolzfällen primär um das Scheitern an der Kunst, sondern um das der Kunst selbst. Um dieses Scheitern nachzuzeichen, unterzieht Reger jedes Kunstprodukt einem unnachgiebigen „Zerlegungs- und Zersetzungsmechanismus“, bis er einen „gravierenden Fehler“ gefunden hat. Dies kann einerseits als Mittel eines spezifischen Überlebensprogramms gedeutet werden, das die Bedrohung des betrachtenden Subjekts durch die Konfrontation mit allzu übermächtiger Perfektion abwehren soll. Andererseits wird die Kunst von ihrem musealen Podest gestoßen, wodurch sie – zur „Karikatur“ geworden – im positiven Sinn „angreifbar“ wird. Der an und für sich unproduktive Akt der Kunst-Bewunderung weicht der unempathischen Analyse, die den von Reger für die „Times“ verfassten „kritischen Kunststücken“ entspricht. Der Tod von Regers Frau, der ihn vorübergehend in eine bedrohliche Krise gestürzt hat, bedeutet für Reger gleichzeitig eine endgültige Relativierung der Bedeutung von Kunst und Philosophie, die diesen „einzigen geliebten Menschen“ nicht zu ersetzen vermögen.

 

 

 

13 Uhr Filmvorführung „Die Kunstnaturkatastrophe“ (Dokumentation von Norbert Beilharz, ARTE/WDR 2010)

 

Er war Provokateur, intellektuelles Reibeisen und Komödienmaschine zugleich. Sein Leben war schillernd, sein Werk polarisiert und echauffiert bis heute. Thomas Bernhard starb 1989 mit 58 Jahren an Herzversagen. Bis heute werden seine Theaterstücke auf allen großen Bühnen gespielt, seine Romane und Erzählungen sind weltweit bekannt. Die Dokumentation von Norbert Beilharz entstand aus Anlass von Thomas Bernhards 80. Geburtstag am 9. Februar 2011. Der Filmautor ging dafür an Orte, die in Bernhards Leben von zentraler Bedeutung waren, auf Spurensuche. Dabei geben Weggefährten, Freunde und Zeitzeugen Auskunft, die sich zum Teil noch nie öffentlich über Thomas Bernhard geäußert haben. Stimmen von zwei Künstlern der Gegenwart runden die Statements zu Thomas Bernhard ab: Sein Landsmann, der österreichische Erfolgsautor Daniel Kehlmann sowie der Münchner Schauspieler und Fotokünstler Stefan Hunstein, der sich intensiv mit Thomas Bernhard auseinandergesetzt hat.

 

 

 

15 Uhr Szenische Lesung „Der Theatermacher“ mit Nora Schulte, Nils André Brüning und Frank Schilcher (Leitung: Ronny Jakubaschk)

 

Der Protagonist des bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten Stücks ist der Staatsschauspieler Bruscon, der mit seinen beiden Kindern und seiner Frau in einem Dorfgasthof in Utzbach seine Menschheitskomödie „Das Rad der Geschichte“ aufführen will. In langen Tiraden ereifert er sich über die Verkommenheit der noch immer dem Nationalsozialismus anhängenden österreichischen Bevölkerung, die Talentlosigkeit seiner Kinder und die Geistfeindlichkeit des Weiblichen. Letztlich kommt die Vorstellung gar nicht zustande; das Vorhaben, der ganzen Welt eine „Geschichtsstandpauke“ zu halten, scheitert an der bei Bernhard häufig demonstrierten Übermacht der Natur: ein Gewitter verursacht einen Brand im Pfarrhof, die Menschen laufen aus dem Wirtshaussaal und ziehen das reale Spektakel der dramatischen Kunst vor. Vor einem autobiographischen Hintergrund entfaltet der Autor ein tragikomisches Spiel über die Tyrannei eines Kunstbesessenen, der seine Umgebung in den Dienst einer unbeirrbar verfolgten Idee stellt, was sich auch als „Gleichnis über die Kunst in einer kunstfeindlichen Welt“ (Hans Höller) lesen lässt.

 

 

 

Bild (c) Suhrkamp Verlag

 

 

March 2017
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